Politik im Hitzestau – Zwischen Reality Show, KI und Vertrauensverlust #Wochenschau
Diese Wochenschau wird eher politisch – und das bei diesem extrem heißen Wetter. Es geht mal wieder um den Donald, aber auch um meine Lieblingsfreunde, die Berater, um Anstand bei Journalisten, Protestwähler und die alte Tante SPD.
Reality Show statt verantwortungsvolle Politik
Auf den Punkt, besser auf den Trump gebracht hat es der kanadische Historiker Quinn Slobodian im Interview bei T-Online: „Trump ist ein Entertainer durch und durch. Jetzt moderiert er eine Reality-Show direkt aus dem Weißen Haus. Und Reality-Shows leben eben von Konflikten. Trump braucht ständig Streit und Fehden.“
Donald Trump macht wieder das, was er am besten kann: Show. Vielleicht ist das auch das einzige, was er kann. Der Mann ist nicht Präsident, sondern Showmaster. Trump lebt von der Aufmerksamkeit, die er durch seine ständigen Provokationen erzeugt. Während der Kulturkampf in den USA tobt, fragt man sich: Ist das noch Politik oder schon Infotainment auf Kosten der Demokratie?
Franchise ist sein Geschäftsmodell – der Wert der Marke „Trump“ hängt einzig am Glanz des Namens. Immobilien, Casinos, jetzt Krypto-Deals: Alles dient der Selbstinszenierung und auch der Selbstbereicherung. Das Amt als Selbstbedienungsladen, Gesetze als lästige Nebensache – Hauptsache, die Show läuft weiter. Willkommen in der neuen amerikanischen Show, in der Politik nur noch Kulisse für das große Trump-Business ist.
EU knickt vor Trump ein
Und er kommt oft mit seiner Show und mit seinen Drohgebärden durch. Siehe gerade die EU, die künftig mit den USA zusammen besprechen will, wie sie den Digital Markets Act gegen die US-Tech-Giganten durchsetzt. Klingt wie ein schlechter Witz, oder? Statt klare Kante zu zeigen und Google, Meta und Co. endlich zu regulieren und zu bestrafen, wird ein Arbeitskreis gegründet, der die Umsetzung auf die lange Bank schiebt. Das ist ein schlechter Deal.
Ursula von der Leyen und die Kommission geben dem Druck von Donald Trump aus Angst vor einem Handelskrieg nach. Ein Armutszeugnis für die digitale Souveränität Europas, das zeigt, wie sehr wir uns von amerikanischen Interessen abhängig machen. Die Politik kapituliert vor der Drohkulisse Trumps und den Tech-Milliardären, die sich hinter ihm versammeln. Das Handelsblatt berichtet hier, Markus Beckedahl kommentiert hier.
Brauchen Unternehmen noch Berater?
Berater, Consultants sind schon lange meine besonderen Freunde. Jetzt stellt der Economist deren Zukunft in Frage: Im KI-Zeitalter reicht ein PowerPoint-Deck nicht mehr. Accenture, der einstige Fixstern am Beratungshimmel, muss sich im KI-Zeitalter neu erfinden – und das nicht freiwillig. Tech-Konzerne liefern demnach längst direkt an die Kunden, Accentures Rolle als Vermittler schrumpft spürbar. Lange der Gewinner der Digitalisierung, stellt KI nicht nur das Geschäftsmodell von Accenture auf den Prüfstand. Wer berät eigentlich die Berater, wenn der Markt sich selbst neu erfindet und sie ein neues Geschäftsmodell brauchen?
KI ersetzt nicht nur Consultants
Ja, ja, die Künstliche Intelligenz, die allenthalben Jobs kostet und gewohnte Prozesse bedroht. Das Handelsblatt singt ein Loblied auf Arvind Krishna und meinen ehemaligen Arbeitgeber IBM, der wieder relevant wird. Krishna scheut sich nicht vor harten Einschnitten. Allein in diesem Jahr würden 9.000 Jobs auch im Marketing der IBM durch KI ersetzt und teilweise in Indien wieder aufgebaut. Die Autoren preisen das quasi. Ich habe in meinen Jahren bei Big Blue x Entlassungswellen im Marketing erlebt. Jetzt geht es weiter, und ob KI und indische Kolleginnen und Kollegen die deutschen Kunden wirklich verstehen? Ich habe aufgrund meiner Erfahrung Zweifel, jeden Markt über den gleichen Kamm zu scheren.
KI im Journalismus
Wegen des Einsatzes von KI angegriffen wurde kürzlich auch T-Online, wo die Redaktion Künstliche Intelligenz einsetzt, um Texte zu erstellen. Das Portal T-Online gehört schon lange nicht mehr zur Telekom, sondern dem Werbekonzern Ströer – und finanziert sich offenbar durch Werbung. Im Portal, wo – so Altpapier-Autor Christian Bartels – „gelegentlich durchaus seriöseren Journalismus“ stattfindet, greift man die Inhalte seriöser Medien auf, zitiert diese und entzieht Verlagen deren finanzielle Grundlagen, so der Vorwurf von Matthias Ditzen-Blanke, ehemals Vorsitzender des Zeitungsverlegerverbandes. Ach ja, die alte Diskussion um Abonnements und Paywalls und wie sich Medien künftig finanzieren können.
Anstand im Journalismus
Florian Harms, Chefredakteur von T-Online, als „Besserwisser“ von der FAZ angegriffen, hat nun am 30. Juni auf T-Online einen „Tagesanbruch“ geschrieben, in dem er „Anstand“, anständigen Journalismus jenseits von KI anmahnt. Dort sieht er die Zukunft des Journalismus und promotet gleich den neuen Slogan von T-Online: „Anständig. Informiert.“ Bei aller Selbstbeweihräucherung applaudiere ich doch eine zentrale Kernaussage von Harms: Wir brauchen die alte, liberale Mitte jenseits der Filterblasen, Deep Fakes, Fake News und Hassbotschaften. Ganz dringend. Und ich muss hinzufügen: Ich empfinde viele Beiträge auf T-Online als wertvoll. Die Beiträge der meisten Verlage kann ich ja nicht lesen, weil ich mich weigere, überall ein Abo abzuschließen.
Quo vadis SPD?
Es fällt mir leicht, die Brücke vom Begriff des Anstands zur SPD zu schlagen. Vor allem, weil ich an die Weimarer Republik denke, wo die Sozis zu den wenigen gehörten, die anständig blieben. Genau das sprechen ihnen wohl viele Wählerinnen und Wähler heutzutage ab. Zumindest suggeriert dies das Ergebnis der Bundestagswahl. Die Partei, einst Herz der deutschen Demokratie, wirkt oft plötzlich wie ein altbackener, akademischer Debattierclub, der seine Kernklientel scheinbar verloren hat.
Zu viele Wählerinnen und Wähler sind zur AfD gewechselt, die mit ihren platten Parolen und Lügen punkten, aber eben auch Sorgen der „einfachen Leute“ ansprechen. Sie haben keine Rezepte, bedienen aber Ängste. Um korrekt zu bleiben: Noch mehr Wählerinnen und Wähler sind zur CDU gewechselt, vermeintlich wegen deren „Wirtschaftskompetenz“.
Der Bundesparteitag hat leider nicht wirklich Mut gemacht. Als Regierungspartei – die SPD hat sich wieder einmal in die Pflicht nehmen lassen und hatte wohl auch keine andere Wahl – werden es die Sozialdemokraten schwer haben, sich wieder glaubhaft in ihrer Kernklientel zu positionieren und den rechten Spinnern Wähler abzujagen. Ich drücke den Sozis auf jeden Fall die Daumen.
Der verharmlosende Begriff „Protestwähler*innen“
Schließen möchte ich mit Aussagen von Michel Friedman, zu dem ich lange ein sehr gespaltenes Verhältnis hatte, dessen Handeln der vergangenen Monate ich aber zutiefst respektiere. Er hat auf der Dokville-Tagung „Rechtsruck Deutschland. Dokumentarische Positionen“ einen Vortrag gehalten. Die MDR-Kolumne Altpapier zitiert daraus:
„Ich kann die AfD nicht behandeln wie alle anderen Parteien, weil sie nicht am Rand der Demokratie ist, sondern außerhalb“,
Im auf den Vortrag folgenden Interview mit der „Report Mainz“-Moderatorin Nadia Kaiouli weist er darauf hin, wie schwierig – und verharmlosend – der Begriff „Protestwähler*innen“ für diejenigen ist, die „aus Protest“ die rechtsradikale AfD wählen. Dies sei eben nicht nur Protest:
„Sie geben Macht denjenigen, die diese Republik vernichten wollen. Und dafür habe ich leider kein Verständnis.“
Auch wenn wir natürlich versuchen müssen, mit diesen Wählerinnen und Wählern zu reden, sie ins demokratische Boot zurückzuholen, so schwer das auch fallen mag, stimmt die Aussage von Friedman – und ich ziehe hier nicht den allseits bekannten Vergleich zu damals.