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Genozid von Srebrenica: Der Bosnienkrieg als Vorbild für rechten Terror

Belltower.News


Das Srebrenica Memorial Center im Dorf Potocari

(Quelle: Canva)

„Wir sollten nicht vergessen, dass Bosnien das erste Testfeld für Rechtsextreme in der Welt war“, sagte Emir Suljagić, Überlebender des Genozids von Srebrenica und heutiger Direktor des Srebrenica Memorial Centers, in einem Interview. Neonazis aus ganz Europa reisten während des Krieges nach Bosnien, um, so drückte es später der heutige Generalsekretär der NPD (Heimat) aus, „Muslime zu töten“.

Die Verbindung vom serbischen Nationalismus zum globalen Rechtsterrorismus ist nicht versiegt. Im Gegenteil: Serbischer Nationalismus und die damit verbundene Leugnung und Glorifizierung des Genozids von Srebrenica sind heute zentrales Narrativ internationaler Rechtsextremer.

Der Genozid als Höhepunkt nationalistischer Gewalt

Vor dreißig Jahren, in der Woche des 11. Juli 1995, ermordeten serbische Einheiten in der Umgebung der ostbosnischen Kleinstadt Srebrenica, die damals UN-Schutzzone war, vor den Augen der internationalen Gemeinschaft mehr als 8.300 Bosniaken, also bosnische Muslime – die meisten von ihnen Jungen und Männer, darunter aber auch etwa 600 Mädchen und Frauen. Sie wurden von ihren Familien getrennt und in LKWs und Trucks zu den Orten der Massenexekutionen gefahren: Schulen, Flussufer, Fußballfelder oder leerstehende Fabrikhallen.

Diese Gräueltaten markieren den mörderischen Höhepunkt des serbischen Nationalismus und sind zum Synonym für den Horror des sechs Jahre andauernden Bosnienkrieges geworden. Doch genozidale Gewalt fand auch an anderen Orten in Bosnien statt: Schulen wurden zu Konzentrationslagern umfunktioniert, Hotels zu Tatorten systematischer Vergewaltigungen, und Sarajevo, die bosnische Hauptstadt, war 1.425 Tage lang von serbischen Truppen belagert – die längste Belagerung des 20. Jahrhunderts.

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Bosnienkrieg, am 15. März 2019, steuerte Brenton Tarrant im neuseeländischen Christchurch zwei Moscheen an und ermordete 51 Menschen während ihres Freitagsgebetes. Aus seinem Autoradio hallte ein serbischer Kriegssong: „Karadžić, führe deine Serben“. Radovan Karadžić, ehemaliger Präsident der Republika Srpska, war maßgeblich für den Völkermord in Srebrenica verantwortlich.

Aus einer bearbeiteten Version des Lieds, dann betitelt als Serbia Strong/God is a Serb, entwickelte sich das rechtsextreme Meme Remove Kebab, das bis heute von der globalen Rechten als Symbol verwendet wird. In seinem Manifest bezeichnete Tarrant sich selbst als „Kebab-Entferner“.

Serbische Nationalisten sind Ikonen der globalen Rechten

Woher kommt die Obsession eines rechtsextremen Attentäters in Neuseeland für serbische Kriegsverbrecher? Der Grund liegt in einem rassistischen Propagandamythos, der schon während des Bosnienkrieges wirkte: Der Genozid von Srebrenica wird als Präventivschlag gegen vermeintliche muslimische Extremisten in Europa verklärt.

Radovan Karadžić, damals mitverantwortlich und verurteilt wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bezeichnete den Genozid später als „gerecht und heilig“, eine Verteidigung gegen ein angebliches „islamisches Kalifat“. Für Anhänger dieser Ideologie sind die Mörder von damals Helden, die den europäischen Kontinent verteidigten und das „christliche Erbe“ zu bewahren suchten. Der Bosnienkrieg, der mehr als 100.000 Menschen das Leben kostete, wird in diesem verzerrten Narrativ zu einem symbolischen Kampf zwischen Christentum und Islam.

Der Mythos vom christlichen „Bollwerk“

Der norwegische Rechtsterrorist Anders Behring Breivik äußerte sich während seines Gerichtsprozesses mit einem wichtigen Satz: „Wenn die extreme Rechte in Europa jemals wieder Erfolg haben sollte, müsste man sich vom Gedankengut der alten Schule abgrenzen.“ Mit „alte Schule“ meinte er den Nationalsozialismus. Gleichzeitig forderte er die Schaffung einer „neuen Identität“.

Diese neue Identität spiegelt sich in seinem Manifest wider. Darin erwähnte er Kosovo 143, Serbien 341, Albanien 208 und Bosnien 232 Mal. In der Vorstellung des Terroristen kämpften in Südosteuropa „die Serben“ gegen „die Muslime“, um den europäischen Kontinent von ihnen zu „befreien“. Breivik war insbesondere begeistert davon, wie Karadžić westlichen Medien gegenüber den Bosnienkrieg verkauft hatte – in seiner Logik war Bosnien eine „unnatürliche“ Gesellschaft, da sie multikulturell war. Dabei leben Bosniak*innen seit jeher in Bosnien – und waren auch in der Vergangenheit Genoziden ausgesetzt: etwa im Zweiten Weltkrieg, als serbische Nazi-Kollaborateure sich an ihrer Vernichtung versuchten. Doch die Opfer des Genozids werden innerhalb dieser Ideologie verhöhnt, ihre Ermordung wahlweise relativiert, geleugnet oder als Notwehr verkauft.

Breivik soll, so wurde es zumindest von der norwegischen Polizei vermutet, bei einer Reise nach Liberia im Jahr 2002 Milorad Ulemek getroffen haben. Ulemek schloss sich zu Beginn des Bosnienkrieges der „Serbischen Freischärlergarde“ von Zeljko Raznatović, auch genannt „Arkan“, an und beteiligte sich an der Schlacht um die nordöstliche bosnische Stadt Bijeljina.

Der Blutrausch in Bijeljina als Blaupause

Das Massaker von Bijeljina zu Beginn des Krieges, im April 1992, wurde später als genozidal beschrieben und ist mit einem der bekanntesten Fotos des Bosnienkrieges belegt. Der amerikanische Fotojournalist Ron Haviv hielt eine Szene fest, die Redžep und Tifa Šabanović zeigt, ein bosniakisches Ehepaar. Sie liegen am Boden, während einer von Arkans Männern mit voller Wucht gegen den Körper der Frau tritt. „Bijeljina war die Generalprobe für den Krieg“, sagte später der aus Bijeljina stammende Journalist Jusuf Trbić. „Sie haben in Bijeljina das getan, was sie später auch in anderen Städten getan haben.“ Das heißt: Moscheen wurden dem Erdboden gleichgemacht. Frauen vergewaltigt. Häuser überfallen und ihre Bewohner erschossen. Milorad Ulemek wurde 2005 unter anderem wegen Mord zu insgesamt 55 Jahren Haft verurteilt. Sein Anwalt bestritt das Treffen mit Anders Behring Breivik. Nationalistische Verbrecher wie Ulemek genießen Kultstatus in rechtsextremen Gruppen in Europa – für ihre Militanz und für ihren massiven antimuslimischen Rassismus. Etwas, das auch an den einstigen Tatorten des Genozids bis heute fest verankert ist.

Innerhalb der Republika Srpska, der 1995 per Dayton-Vertrag beschlossenen Entität Bosniens, in der die meisten Nicht-Serben ermordet oder vertrieben wurden, ist die Leugnung und Glorifizierung des Genozids von Srebrenica eine Konstante seit Kriegsende. Zahlreiche Täter von damals bekleiden heute hohe Positionen in Polizei und Militär. Politische Unterstützung für den dortigen rechtsnationalistischen Präsidenten Milorad Dodik – auch er leugnet den Genozid – kommt vor allem aus dem Nachbarstaat Serbien und aus Russland.

In den Jahren direkt nach dem Krieg bestritt sowohl ein Großteil der serbischen Medienlandschaft als auch das politische Establishment, dass der Völkermord von Srebrenica tatsächlich stattgefunden hat – stattdessen handele es sich um eine internationale, anti-serbische Verschwörung. Mit der Zeit veränderten sich die Erzeugnisse der Propagandamaschinerie. Jetzt wurde der serbischen Bevölkerung suggeriert, Bosnien sei von radikalen muslimischen Extremist*innen bevölkert. Serbische „Terrorismusexperten“ erklärten später, die Opfer von Srebrenica, allesamt Zivilist*innen, seien eigentlich Dschihadisten gewesen.

Es sind Worte, die erschreckend ähnlich sind zu dem, was Attentäter wie Breivik oder Tarrant in ihren Manifesten festhielten. All das vor dem Hintergrund, dass der Genozid von Srebrenica durch hunderttausendseitige Dokumentationen belegt und durch zahlreiche Gerichtsurteile, sowohl national als auch international, bestätigt wurde.

Srebrenica heute

Das Srebrenica Memorial Center liegt heute im Dorf Potocari, wenige Kilometer von Srebrenica entfernt. Hier befand sich damals die Stellung der rund 450 niederländischen Blauhelmsoldaten, die mit dem Schutz der Zivilbevölkerung beauftragt waren – und vor deren Pforten die Schlächter schließlich ihre Opfer selektierten. Heute arbeiten hier vor allem Überlebende des Genozids. Sie legen Zeugnis ab, führen Interviews, dokumentieren und archivieren.

Im Frühjahr dieses Jahres musste das Gedenkzentrum erstmals schließen. Die Sicherheit der Mitarbeitenden konnte nicht mehr garantiert werden, nachdem Milorad Dodik, Präsident der Entität RS, mit einer „Radikalisierung“ der Lage im Land drohte.

Belltower.News · Genozid von Srebrenica: Bosnienkrieg als Vorbild rechten TerrorsÜber 8.300 Bosniaken wurden in Srebrenica von serbischen Einheiten ermordet. Heute stilisieren internationale Rechtsextreme die Täter von damals zu Helden.

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